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Was darf der Arbeitgeber eigentlich alles von dem Arbeitnehmer verlangen?

Oft umschreibt der Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig, welche Arbeitsleistung der Arbeitnehmer schuldet. Dort steht beispielsweise lediglich, dass er als kaufmännischer Angestellter tätig ist. Nach § 106 Gewerbeordnung (GewO) darf dann der Arbeitgeber näher bestimmen, wie die Arbeit genau zu leisten ist. Der Arbeitgeber übt dann sein sogenanntes Direktionsrecht aus. Er darf Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung näher bestimmen, muss dabei jedoch "billiges Ermessen" wahren. Das sogenannte billige Ermessen bedeutet, dass der Arbeitgeber seine Weisung gerecht erteilen soll. Er soll also auch die Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigen und nicht nur seine eigenen.

Regelt der Arbeitsvertrag beispielsweise nicht, an welchem Ort die Arbeitsleistung zu erbringen ist, so kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Wege des Direktionsrechts an einen anderen Ort versetzen. Dabei muss er aber zum Beispiel berücksichtigen, ob der Arbeitnehmer ein Auto hat. Der Arbeitgeber kann im Wege des Direktionsrechts auch andere Arbeitszeiten anordnen als zu Beginn des Arbeitsverhältnisses galten, wenn die Arbeitszeiten nicht konkret im Arbeitsvertrag festgelegt sind. So kann er von einer festen Frühschicht in ein rollierendes Dreischichtsystem wechseln. Dabei muss er aber zum Beispiel berücksichtigen, ob der Arbeitnehmer Kinder hat, die er nachmittags und abends betreuen muss.

Problematisch wird es, wenn der Arbeitgeber sein Direktionsrecht überschreitet, indem er von dem Arbeitnehmer etwas verlangt, was dieser gar nicht tun muss. Es stellt sich die Frage, wie der Arbeitnehmer mit einer solchen Weisung umgehen soll. Muss er seine Arbeit nun an einem anderen Ort oder in einem anderen Schichtsystem ausüben, obwohl er davon ausgeht, dass die Weisung nicht rechtmäßig ist?

Mit Urteil vom 22.02.2012 hatte der 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts entschieden, dass der Arbeitnehmer an eine unbillige Weisung des Arbeitgebers vorläufig gebunden ist, bis durch ein rechtskräftiges Urteil die Unverbindlichkeit dieser Weisung festgestellt wird (BAG, Urteil vom 22.02.2012 – 5 AZR 249/11). Der Arbeitnehmer musste also seine Tätigkeit zunächst entsprechend der neuen – möglicherweise ungerechten - Weisung des Arbeitgebers ausführen. Parallel konnte er Klage erheben und beim Arbeitsgericht beantragen, die Unbilligkeit dieser Weisung festzustellen. Für die Dauer des gerichtlichen Verfahrens musste er aber beispielsweise den 50 km längeren Weg zur Arbeit hinnehmen. Kam der Arbeitnehmer der arbeitgeberseitigen Weisung nicht nach, dann konnte der Arbeitgeber beispielsweise eine Abmahnung aussprechen. Es konnte sogar zu einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber kommen.

Für den Arbeitnehmer war diese Rechtsprechung äußerst unbefriedigend, da er zunächst für mehrere Wochen oder gar Monate einer unbilligen – nicht gerechten - Weisung des Arbeitgebers nachkommen musste bis ein Arbeitsgericht darüber entschieden hatte. Stellte sich heraus, dass die Weisung tatsächlich nicht rechtmäßig war, musste der Arbeitnehmer ihr zwar zukünftig nicht mehr nachkommen – für den Arbeitgeber blieb es aber folgenlos, dass er von dem Arbeitnehmer etwas verlangt hatte, wozu er nicht berechtigt war. Der Arbeitgeber konnte also ohne Risiko Weisungen erteilen, die nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprachen.

Diese Rechtsprechung stand nun seit ein paar Monaten auf dem Prüfstand. So hat der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts mit Beschluss vom 14.06.2017 eine Anfrage an den 5. Senat gestellt, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhält. Denn der 10. Senat wollte die Auffassung vertreten, dass ein Arbeitnehmer nicht – auch nicht vorläufig – an eine Weisung des Arbeitgebers gebunden ist, die die Grenzen billigen Ermessens nicht wahrt (BAG, Beschluss vom 14.06.2017 – 10 AZR 330/16 (A)).

Nach der Vorstellung des 10. Senats des Bundesarbeitsgerichts soll der Arbeitnehmer künftig einer unbilligen Weisung des Arbeitgebers nicht mehr Folge leisten müssen. Er soll vielmehr die Arbeitsleistung verweigern und das Ergebnis der Überprüfung der Weisung des Arbeitgebers durch ein Arbeitsgericht abwarten dürfen. Bestätigt das Arbeitsgericht, dass die Weisung tatsächlich nicht rechtmäßig war, dann behält der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf Vergütung auch für die Zeit, in der er keine Arbeit geleistet hat. Auch in der Zwischenzeit eventuell von dem Arbeitgeber ausgesprochene Abmahnungen oder Kündigungen sind dann unwirksam.

Mit Beschluss vom 14.09.2017 hat der 5. Senat nun mitgeteilt, dass er an seiner im Urteil vom 22.02.2012 vertretenen Auffassung nicht mehr festhält. Damit wird also zukünftig die Rechtsprechung des 10. Senats zugrunde zu legen sein. Auch ein Bundesarbeitsgericht kann also seine Meinung ändern und zugeben, dass es sich geirrt hat…

Allerdings empfiehlt es sich keinesfalls, einfach die Arbeit niederzulegen, wenn eine Weisung des Arbeitgebers nicht rechtmäßig erscheint. Vielmehr sollte dann dringend zuvor eine anwaltliche Überprüfung der Rechtslage erfolgen. Denn wenn sich der Arbeitgeber doch noch im Rahmen seines Direktionsrechts bewegt hat und ein Arbeitsgericht dies im Nachhinein feststellt, verliert der Arbeitnehmer seinen Vergütungsanspruch und der Arbeitgeber kann wirksam Sanktionen in Form von Abmahnungen bis hin zur Kündigung aussprechen. Es sollte daher sehr sorgfältig geprüft werden, ob die Weisung des Arbeitgebers sich außerhalb der Grenzen des Direktionsrechts bewegt oder ob ihr Folge zu leisten ist.

Sollten Sie Fragen zu der Rechtmäßigkeit von Weisungen haben, die Ihr Arbeitgeber Ihnen gegenüber ausgesprochen hat oder sollten sie als Arbeitgeber Weisungen aussprechen wollen, bei denen Sie nicht sicher sind, ob sich diese im Rahmen Ihres Direktionsrechts bewegen, dann setzen Sie sich gerne mit uns in Verbindung. Wir beraten Sie umfassend über Ihre rechtlichen Möglichkeiten und setzen Ihre Interessen durch.